Donnerstag, 25. Juli 2013

Cepo Uruguayana

Neulich im Waschsalon starrte ich Julia an ... ihr ist das egal, denn sie ist eine Waschmaschine. Ohne Witz: Alle Waschmaschinen hier haben jetzt Frauennamen. Die Trockner heißen Horst oder Peter (... ausgerechnet). Ich hoffe, dass Julia sich beeilt, denn ich sitze auf einer Bank und die ist ziemlich unbequem ... und auch das ist noch zu positiv formuliert.

Nach zwei Minuten habe ich Rückenschmerzen ... sonst leide ich an allen und in allen Körperregionen (und vom Geist will ich gar nicht erst anfangen!), aber Rückenschmerzen? - die bekomme ich ausschließlich im Waschsalon. Sie werden jetzt sicher sagen: 'Versuchen Sie's doch mal mit einer anderen Körperhaltung!' - aber ein solcher Ratschlag (wie so viele ... eigentlich alle "guten" Ratschläge, die ich in meinem Leben bekommen habe) ist Quatsch. Das beweist nur, dass Sie noch niemals in diesem Waschsalon auf einer Bank gesessen haben. Was man so "sitzen" nennt ... Ist das Sitzen, wenn man in embryonaler Haltung, die Arme unten und oben um die Knie geschlungen kauert, und dabei auf dem Hintern balanciert? Folter- oder genauer: Verhörspezialisten nennen so etwas eine Stressposition.

Im 19. Jahrhundert führte Paraguay ungefähr fünf Jahre lang Krieg gegen eine Allianz aus Brasilien, Argentinien und Uruguay. Die Soldaten des leicht paranoiden paraguayischen Präsidenten Lopez praktizierten eine Befragungstechnik, die sie Cepo Uruguyana nannten (nach der Stadt, in der sie sie kennengelernt hatten). Der Gefangene sitzt auf dem Boden, die Knie angezogen und die Hände hinter dem Rücken festgebunden. In den Kniekehlen und auf den Schultern werden Gewehre so aneinander festgebunden, dass der Kopf zwischen die Beine gepresst wird. Zuerst werden dabei die Füße taub, dann die Beine und dann das Gesicht. Der Folterknecht setzt dem Delinquenten einen Fuß auf die Schultern und zieht die Seile noch fester an. Manch einer glaubte, seine Wirbelsäule brechen zu hören. Im Normalfall wird diese Behandlung zwei Stunden lang fortgesetzt. Eines der Opfer schrieb später: "Ich hätte mir Sicherheit alles gestanden, wenn ich nur etwas zu gestehen gehabt hätte."

Was habe nun ich getan, dass man mich einer solchen Folter unterzieht? Diese Bank martert mein Rückgrat - und ich martere mir (zusätzlich!) auch noch das Gehirn. Dann habe ich es: Ich habe meine Wäsche dreckig gemacht ... pfui! Und jetzt beschwere ich mich auch noch über die schlechte Behandlung ... schäbig! Dabei habe ich mir das doch alles selber zuzuschreiben. In den Waschsalon gehen, das heißt: seine Schuld abbüßen - das wird mir jetzt immer klarer.

Um mich von den Schmerzen abzulenken, um die Zeit zu überbrücken bis zum Ende der Tortur, blättere ich in einer dieser Gratiszeitungen, die einem einmal in der Woche ungefragt und unvermeidlich in den Briefkasten gesteckt werden - denn wer glaubt schon an die Macht der Worte und seien es auch die Worte: Bitte keine Werbung! Wie einfältig ... als ob man in dieser Welt der Werbung der Werbung entgehen könnte! Da könnte man genau so gut versuchen, ohne Schuld zu leben oder zu leben, ohne in die Unterhose, das Hemd oder die Bettwäsche zu schwitzen!

Ich blättere schwerfällig durch diese Zeitung. Denn das ist gar nicht so leicht: blättern - wenn man dabei gezwungen ist, eine Körperhaltung einzunehmen, die man sonst nur von jenen unglücklichen Menschen kennt, deren körper nach ihrem (meist frühen) Tod in spiritusgefüllten Behältern ausgestellt werden.

Und was lese ich da? Den wöchentlichen Fragebogen, den eine stadtbekannte Person ausgefüllt hat. Eine der Fragen lautet: "Was ist ihr Lebensmotto?" Ich recke meinen Kopf nach oben (wie ich es paradoxerweise immer tue,wenn ich in mich hineinsehen möchte) (was möglicherweise erklärt, warum ich mich so schlecht erkenne). Ich kann die decke des Raums nicht sehen ... die verkrampfte Haltung, diese zur Schleife gebundene Wirbelsäule, sie lassen das nicht zu. Ich denke also nach und formuliere: Verzagen, ohne zu klagen - das ist mein Motto! Es bringt ja auch nichts. Wenn das Waschprogramm durchgelaufen ist, werde ich mich erheben und weggehen, um irgendwann wieder zukommen ... ohne zu klagen ...

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